Stress - Was ist das eigentlich?
Kampf oder Flucht? - Stress unserer Vorfahren
Das Wort Stress kommt aus der Materialforschung und beschreibt die Kräfte, die auf einen Werkstoff einwirken (Stressoren). Schon nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Begriff auf den Menschen übertragen. Walter Bradford Cannon untersuchte Reaktionen des menschlichen Organismus auf äußere Reize und Effekte traumatischer Erlebnisse bei Soldaten. Auf ihn geht das Konzept der Kampf- und Fluchtreaktion zurück.
Die Natur hat unsere Vorfahren so programmiert, dass wir in einer akuten Bedrohungssituation blitzschnell reagieren können: mit dem Angreifer kämpfen – oder fliehen. Das dient dem Überleben, und daran hat sich bis heute nichts geändert. In unserem Körper läuft das gleiche Reaktionsschema ab wie bei den Steinzeit-Menschen.
Hans Selye war es, der 1984 in „The Stress of Life“ die Bedeutung frühester Erfahrungen und unbewusster psychischer Konflikte in das Stresskonzept einbrachte.
Nicht der Stressor ist entscheidend, sondern unsere Reaktion darauf!
Jeder Reiz, der eine Reaktion im Organismus auslöst, kann zunächst einmal als Stressor verstanden werden. Dabei ist es völlig unerheblich, ob wir den Reiz oder unsere Reaktion auf ihn bewusst wahrnehmen. Zum Beispiel kann Schall mit einer so tiefen Frequenz, dass wir ihn gar nicht mehr „hören“ können, trotzdem Einfluss auf Pulsfrequenz, Muskeltonus und andere Parameter nehmen.
Bei Reizen, die wir bewusst wahrnehmen, spielt es eine große Rolle, wie wir sie bewerten. Laute Musik kann als angenehm empfunden werden oder als immenser Stress. Diese Bewertung erfolgt ganz wesentlich im Zwischenhirn mit seinen Anteilen Thalamus, Hypothalamus und Formatio reticularis. Ebenso zum Mittelhirn gehört die Hirnanhangdrüse, die Hypophyse. Sie schüttet Hormone aus und ist damit ganz erheblich an der Stressreaktion beteiligt.
Mandelkern oder Großhirn - was steuert uns?
Besonders schnelle, automatische Reaktionen werden von einem Gebiet namens Amygdala (Mandelkern) gesteuert. Wenn es plötzlich um Leben und Tod geht, können wir nicht erst lange bewerten oder abwägen… Das Großhirn mit seinen bewussten Impulsen bleibt ungefragt. Wenn wir aber überlegen, wie wir nun zum Beispiel auf die laute Musik angemessen reagieren sollen, und dabei alte Emotionen und andere Erinnerungen zurate ziehen, kommt der Hippocampus ins Spiel. Dieses Hirngebiet ist wesentlich für Lernen und Erinnerung zuständig und kann damit Einfluss auf den Thalamus nehmen. Damit wird gesteuert, wie unsere Bewertung ausfällt.
Grosshirn, Zwischenhirn, Mandelkern und Hippocampus bestimmen, wo’s langgeht.
Die Neuroendokrine Stressreaktion - ein eingespieltes Team!
Im Körper läuft nach Einwirken eines Stressreizes im Wesentlichen immer dasselbe Reaktionsschema ab (so wurden und sind wir nun einmal programmiert). Zur Reaktion wird das Vegetative Nervensystem aktiviert. Es besteht aus dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Außerdem erfolgt die Ausschüttung von Hormonen.
Der Sympathikus ist der Antreiber: Er beschleunigt den Herzschlag, die Atmung, den Blutfluss, sorgt für Energienachschub in den Muskeln und vor allem für das Gehirn selbst. Die typischen Stresshormone (Botenstoffe) des Sympathikus sind Adrenalin und Noradrenalin. Sie vermitteln über Rezeptoren an den Zelloberflächen, welcher Prozess genau ablaufen soll. In der Nebenniere wird ein weiteres wichtiges Stresshormon gebildet, das Cortisol. Stress: Alles prima oder was?
Wo liegt denn nun eigentlich das Problem? Dass wir auf einen Stressreiz reagieren können, und zwar schnell und angemessen, das ist doch zu unserem Vorteil!
Chronischer Stress - der Anfang einer Abwärtsspirale!
Das Problem entsteht, wenn wir unter chronischem Stress stehen. Hatte der Steinzeitmensch seinen Feind erlegt oder verjagt, ließ sich wohl nicht gleich wieder einer blicken. Wir dagegen werden heutzutage befeuert von einer Flut an Reizen, deren Masse wir biologisch nicht gewachsen sind. Die vielen kleinen Stressoren, Mobbing, Zeitdruck, Leistungsdruck, nervige Mitmenschen (all das wird auch „daily hassels“ genannt), finanzielle Zwänge, Doppelbelastung von Familie und Beruf, die Informationsflut, die Unmenge von Entscheidungen, die wir täglich treffen müssen- das alles treibt ununterbrochen die Stressachse an, ohne dem Gehirn und dem Körper auch nur die Chance zu geben, sich zwischendurch erholen und regenerieren zu können. Die produzierten Stresshormone können gar nicht mehr abgebaut werden, sie wirken weiter und lösen im Körper Reaktionen aus, die kurzfristig nützlich sind, auf Dauer aber nicht nur sinnlos, sondern sogar schädlich.
Ein weiterer chronischer Stressor sind durchlebte traumatische Ereignisse. Diese können selbst bei scheinbar erfolgreicher Verarbeitung dauerhaft den Erregungszustand des Gehirns verändern und sogar strukturelle Schäden verursachen. Ganz abgesehen davon, dass sie die Emotionen und das Erleben beeinflussen, Angst und Panikattacken verursachen können und diese wiederum die Stressspirale weiter anheizen.